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TRANSPARENT
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«Transparency» war der Titel eines 1963 publizierten Aufsatzes von Colin Rowe und Robert Slutzky. Rowe und Slutzky bildeten in den Fünfziger Jahren zusammen mit John Hejduk, Werner Seligmann und Bernhard Hoesli die Architektengruppe der Texas Rangers an der University of Texas in Austin.1 «Transparency» galt lange Zeit als eine der theoretischen Grundlagen für die Architektur-Ausbildung an vielen Hochschulen - auch in Europa. Die Texas Rangers hatten neue Methoden für den architektonischen Entwurf entwickelt, ausgehend von der Erkenntnis der objektiven Grundlagen der Klassischen Moderne. Sie erprobten ihr Modell im Entwurfsunterricht als didaktisches Experiment. Bernhard Hoesli, der ab 1960 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich lehrte, gab 1968 eine kritische Übersetzung von «Transparency» am gta Verlag der ETH heraus. Damit brachte er die Idee einer theoretischen Grundlage für die Entwurfsausbildung aus den USA in die Schweiz.

2005 feierte die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ihr 150-jähriges Bestehen. Zu diesem Jubiläum erscheint transparent, mit Artikeln zur Geschichte der Architekturabteilung, die helfen sollen, einen «Mythos» zu entschlüsseln und das «Innenleben» des Fachbereichs kennen oder besser verstehen zu lernen. Dieses besondere Heft soll nicht auf die Darstellung der Vergangenheit einer renommierten Architekturschule beschränkt sein, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Vorgängen, Strukturen und Abläufen aufzeigen.

Der Titel transparent ist bewusst doppeldeutig gewählt: Die Redaktion möchte einerseits Transparenz schaffen, Einblicke geben in eine Architekturschule, deren Ruf weit über die Schweizer Landesgrenzen hinausreicht und die für das hohe Niveau ihrer Ausbildung bekannt ist. Andererseits steht die Frage im Vordergrund, ob die Qualität der Lehre an der ETH Zürich heute auf einer einheitlichen theoretischen und methodischen Grundlage beruht, so wie sie «Transparency» für die Texas Rangers darstellte.

Um die Arbeit und Methoden der Entwurfslehrstühle zu beleuchten und vergleichbar zu machen, waren alle Professoren aufgefordert, zu jeweils achtInterviewfragen schriftlich Stellung zu nehmen. Dem Leser bietet sich die Chance, inhaltliche und didaktische Positionen zu erfahren und direkt zu vergleichen. Einen Schwerpunkt bildete die Frage, ob die Professuren einer gemeinsamen Linie, einer ETH-Strategie folgen, oder ob sie unabhängig voneinander und nach eigenen Konzepten und Vorstellungen unterrichten. Die Beiträge zeigen, dass eine unausgesprochene Verpflichtung zur Qualität allen Dozenten gemeinsam ist. Darüber hinaus wird jedoch eine grosse Vielfalt an Ansätzen und Methoden parallel verfolgt. Die Berufung guter Lehrkräfte scheint das Hauptkriterium bei der Qualitätssicherung der Ausbildung zu sein, eine damit einhergehende Vielfalt an Positionen und Lehransätzen wird nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst angestrebt. Autonomie in Forschung und Lehreanstelle von übergeordneten Programmen und Zwängen scheint ein durchgehendes Merkmal aller Positionen zu sein.

Neben dem Jubiläumscharakter steht das Jahr 2005 auch für entscheidende Veränderungen, insbesondere für die Architekturabteilung der ETH. Derzeit wird die Umstrukturierung des Studiums gemäss den Verträgen von Bologna vollendet. Der Diplomstudiengang Architektur wurde bereits im vergangenen Jahr von einem Bachelorestudiengang abgelöst. Die Masterstudiengänge nehmen Gestalt an und es wird diskutiert, welche Strukturen und Inhalte ein Masterstudium und auch verschiedene darauf aufbauende Masters of Advanced Studies haben sollen. Die bevorstehenden Umstrukturierungen haben eine Debatte innerhalb des Lehrkörpers um die Inhalte und Methoden der Architekturlehre an der ETH entfacht, transparent ist bestrebt möglichst mannigfaltige, teils widersprüchliche oder stark gegensätzliche Meinungen und Positionen

innerhalb dieser Diskussion dar- und gegenüberzustellen.

Als studentisches Organ möchte die transRedaktion die Diskussionen und Überlegungen zu den Strukturänderungen aus den politischen und organisatorischen Gremien des Departements in die Kreise der Studierenden tragen. Das Heft soll Verständnis für den Umfang der stattfindenden Veränderungen schaffen, informieren und im besten Fall politisch aktivieren. Die Architektura! zeigt in einem Artikel die Möglichkeiten der Studierenden zur Einilussnahme auf die Hochschulpolitik auf und auch die Professoren äussern den Wunsch nach Mitgestaltung durch die Studenten.

Der Diskurs rund um die Auswirkungen der Bolognareform auf die Architekturlehre wird nicht nur für Studenten von Interesse sein. Architekten, diebereits im Berufsalltag stehen, können am Beispiel der ETH verfolgen, welche neuen Parameter die Architekturausbildung der kommenden Jahre bestimmen werden.

Die Redaktion hofft, mit diesem Heft einen Beitrag zum Diskurs über die Zukunft der Architekturausbildung leisten zu können und wünscht viel Spass bei der Lektüre von transParent.

Published in December 2005

Contributors

Jørg Himmelreich, Michèle Blätz, Dietmar Eberle, Christophe Girot, Roger Diener, Jacques Herzog, Marcel Meili, Pierre de Meuron, Adrian Steiner, Marc Angélil, Andrea Deplazes, Markus Lutz, Jonathan Sergison, Stephen Bates, Rosa Guyer, Tibor Lamoth, Wolfgang Schett, Miroslav Sik, Gregor Eichinger, Adrian Meyer, Nicola Braghieri, Sonja Hildebrand, Arthur Rüegg, Marc Angélil, Dirk Hebel, Jörg Stollmann, Conradin Clavuot, Vittorio Magnago Lampugnani, Christian Kerez, Pia Simmendinger, Kees Christiaanse, Sascha Delz, Johannes Feld, Sacha Menz, Dietmar Eberle, Urs Ch. Nef, Hermann Czech, Isabel Haupt, Roland Züger

Editorial Team

Harald Bindl, Michèle Blätz, Sascha Cisar, Jørg Himmelreich, Hans Georg Keitel, Fiorenza Piraccini, Kathrin Siebert


Table of content

Architekturausbildung im Umbruch : der Vorsteher des Departments Architektur über die Studienreform

Der duale Master

Wissen ist Macht

Ins Unreine gesprochen : Anmerkungen zu den Studienreformen im Department Architektur der ETH Zürich

Das Departement Architektur : Einführung in die Strukturen des Departements

Architektura! : Engagement und Loyalität

Atelier, Analogie, altneu

Quo vadis?

Theorie und Praxis in der Architekturlehre : und dabei "dürfen wir auch den Menschen im Studenten nicht etwa vergessen"

Entwerfen als radikales Experiment : die Integration der Forschung in die Entwurfslehre

Ritual und Hygiene : ein architektonisches Forschungssemester

Geschichte des Städtebaus und städtebauliches Entwerfen : ein didaktisches Projekt

Aufgabe der Hochschule ist nicht zu informieren, sondern zu bilden : zu den Unterrichtsmethoden von Aldo Rossi

"Core and Shell" und weitere Kompetenzverluste

Der Rechtsunterricht am Department Architektur : eine Herausforderung der besonderen Art

Bildungsflüchtlinge : Schweizer Architekten, die nicht am Polytechnikum studierten

Experiment Lehrcanapé 1970-73 : müssen Architekten Marx lesen?